Seit dem letzten Montag bin ich etwas schlapp. Wenn ich schlapp bin oder mein Körper sonst irgendwie schmerzt, ist meine Taktik meist, dies zu ignorieren oder mit mehr Schmerz (meist durch intensiven Sport) zu unterdrücken. So auch diesmal. Fröhlich ging ich am Montag ins Boxtraining, am Dienstag lange spazieren und abends dann noch ins Intervalltraining. Gute Idee, dachte ich mir, da mein Alltag sonst sehr kopflastig ist mit den vielen Arbeiten, die ich schreiben muss. Am Mittwoch funktionierten dann weder Kopf noch Körper und ich gönnte mir einen Tag im Bett, an welchem ich die Netflix-Serie "The Greatest Events of WWII in Colour" durchschaute. Sehr empfehlenswert wenn man sich mal wieder die Abgründe der Menschheit vergegenwärtigen will und etwas über Kriegsstrategien lernen möchte! Als ich anschliessend in der Nacht wegen den Schüssen vor dem Fenster erwachte, dachte ich zuerst, ich hätte vergessen, den Fernseher auszuschalten. Wohl erste Anzeichen von Fieber...
Auch am Donnerstag lag ich flach, schob dies jedoch auf den Schock der vergangenen Nacht. Wenn es mir schlecht geht, hilft meist gutes Essen. Also bestellte ich mir, nach längerem moralischen Dilemma, ob es denn jetzt vertretbar ist, Crevetten zu essen (Kopf gegen Herz, das Herz gewann), einen Meeresfrüchteeintopf mit dem famosen kolumbianischen Kokosreis, von dem ich so viel gehört hatte. Ganz euphorisch erwartete ich den Delivery-Fahrer, gab ihm ein zünftiges Trinkgeld, da er doch viel zu meiner gehobenen Laune beitrug, füllte das Essen zur Feier des Tages sogar aus der Styroporbox auf einen Teller und führte genüsslich die Gabel zu meinem Mund. Es schmeckte - gar nicht. Zuerst war ich verwirrt ab der unerwarteten Fadheit des so hochgelobten Kokosreis, aber als dann auch die Sauce des Eintopfs nach buchstäblich gar nichts schmeckte, dämmerte es mir langsam.
Praktischerweise hatte Kevin noch einige Corona-Selbsttests aus der Schweiz mitgebracht, weil man hier offenbar zeitweise zehn Tage lang auf ein PCR-Resultat wartet und nach zirka einer Minute war der Fall klar: Ich hatte es doch tatsächlich geschafft, mich in der ersten Woche in Kolumbien mit Corona zu infizieren. Trotz Booster, trotz konstantem Maskentragen drinnen und sogar draussen (im gesamten Land herrscht überall Maskenpflicht). Gut gemacht, Julia.
Immerhin konnte ich die darauffolgenden Tage dann ohne schlechtes Gewissen krank sein. Ich bin eine dieser Personen, die sich dem kapitalistischen System so sehr unterworfen hat, dass sie Unproduktivität erst ohne schlechtes Gewissen zulassen kann, wenn die Krankheit einen Namen hat. Dumm, ich weiss. Ich arbeite an der Besserung dieses Verhaltens, musste nun aber einmal mehr feststellen, dass ich doch noch immer stark in alte Muster verfalle.
Heute sitze ich seit einigen Tagen zum ersten Mal wieder für längere Zeit aufrecht auf einem Stuhl und habe sogar stehend gekocht. Ohne ein einziges Mal schlafen zu gehen dazwischen! Es geht also ganz klar aufwärts. Und gewisse Vorteile hat das Ganze doch auch. Man kann beispielsweise problemlos Müsli mit Wasser essen und so kostbare Milch sparen, ohne dabei einen Kompromiss einzugehen.
Jetzt mal ganz ehrlich: Ein geschmackloses Leben ist, als Mensch, der sehr viel Zeit damit verbringt, sein nächstes Essen zu planen oder zu kochen, weil er Essen einfach so sehr liebt, schwierig und äusserst frustrierend. Masochistisch wie ich bin koche ich, als verspätetes Geburtstagsessen für Kevin, gerade eine fünfstündige Bolognese nach Marcella Hazan und rieche immerhin, dass sie sehr lecker sein wird. Natürlich habe ich die leise Hoffnung, dass meine Geschmacksnerven in den nächsten zwei Stunden ihr grosses Comeback geben.
Ja, das alles ist ein suboptimaler Start in mein neues Leben in Kolumbien, ich weiss. Aber bevor jemand in Mitleid versinkt oder sich Sorgen macht: Mir geht es eigentlich wirklich gut hier! Ich bin optimistisch, so wenig gestresst wie ich es nur sein kann angesichts des Berges an Arbeiten und Arbeit, die vor mir liegen und geniesse die Wärme. Alles prima, also!
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